Die Grenzen zwischen Unzufriedenheit und Ratlosigkeit sind oft fließend, und jetzt waren sie versteckt in den Gesichtszügen von Andreas Obst. Sorgenfalten? Verärgerung? Schwer zu sagen. Hoffnung strahlte sein Gesicht jedenfalls in keiner Weise aus, als der Aufbauspieler und Drei-Punkte-Spezialist am Dienstag kurz vor Mitternacht erklären sollte, was dem FC Bayern da in eigener Halle gerade gegen Ratiopharm Ulm widerfahren war. Obst hatte doch glatt acht Dreier versenkt und insgesamt 34 Punkte beigesteuert, also 39 Prozent aller Bayern-Zähler. Trotzdem stand da schon wieder eine Niederlage, 88:93. Noch eine in dieser Halbfinalserie um die deutsche Basketball-Meisterschaft, und die Saison wird trotz des nationalen Pokalerfolgs wohl als Enttäuschung nachwirken.
Da stand Obst also mit seinem schwer zu lesenden Gesicht und versuchte, etwas Positives aus seinem Gefühlsschatz zu heben. Die 34 Punkte stünden auch dafür, „dass wir als Mannschaft gekämpft haben, versucht haben, uns dagegen zu stemmen“, sagte er. Man konnte das aber auch so lesen: Obsts Dreier waren nötig, weil die Bayern unter dem Korb klar unterlegen waren. Weil die Physis gefehlt hatte, etwa, weil Othello Hunter in diesen Playoffs fehlt. Und weil die Mannschaft ausgelaugt wirkt. Drei Siege in Serie nach zwei Niederlagen in einer Best-of-Five-Serie, das kommt immer wieder mal vor. Doch der aktuelle Zustand der Bayern verlangt viel Fantasie, um sich solch eine Aufholjagd vorzustellen.
Zumal es beim Gegner geradezu unheimlich gut läuft. 34 Punkte von Obst? „Ja“, gab Ulms Trainer Anton Gavel zu, das nerve. Aber wohl auch nicht so sehr, wenn er seinen Spielern dabei zusehen kann, wie sie sich einen Alley Oop nach dem anderen zuwerfen, und wenn Thomas Klepeisz mit der Halbzeitsirene drei Punkte besorgt – von der Mittellinie aus. Als die Ulmer zu Beginn des dritten Viertels ihre beste Phase hatten, begannen die Bayern zu zittern, im Wortsinn: Der Ball glitt ihnen oftmals ohne Fremdeinwirkung aus der Hand, einfach so, im Stehen. Schon zu Beginn des Spiels hatte die Mannschaft lange gebraucht, um die offensiven Wellen der Ulmer zu brechen. Augustine Rubit wie Kapitän Vladimir Lucic wären prädestiniert, die Mannschaft in solchen Situationen aufzurichten, doch Lucic fehlt zum zweiten Mal für längere Zeit in dieser Saison, Rubit seit drei Monaten.
Er brauche jetzt einen kühlen Kopf bei der Analyse, sagte Bayern-Trainer Andrea Trinchieri. Ein Fenster im Pressekonferenzraum war gekippt, von draußen drang frische Luft hinein, dazu Ulmer Fangesänge. Der Klub war in der Hauptrunde nur Siebter geworden, doch im Viertelfinale waren sie schon gegen Alba Berlin ungeschlagen geblieben. Sie reiten auf einer riesigen Formwelle, „weil sie jetzt an sich glauben“, sagte der Trainer. Trinchieri sprach nun auch gegen die Ulmer Gesänge an, und in überzeugtem Ton gelang es ihm zu sagen: „Viele glauben, es ist jetzt vorbei. Ich denke nicht so. Es ist nicht vorbei, bis es vorbei ist.“

Vor dem Abschied aus München? Andrea Trinchieri gewann drei Meistertitel mit Bamberg – und noch keinen mit den Bayern.
(Foto: Oryk Haist/Imago)
Der große FC Bayern in der Außenseiterrolle? Vielleicht ist das sogar ein Vorteil in diesem Moment. Es schmälert zumindest die Erwartungen an ein Team, dem der eigene Trainer eine mentale Instabilität diagnostiziert. Im dritten Viertel habe man das Gleichgewicht, das Selbstvertrauen verloren, befand Trinchieri. Wie er die Mannschaft nun so frisch bekomme, dass es am Freitag in Ulm besser läuft? „Wir müssen geduldig sein und es aushalten, wenn sie gut spielen.“ Und selbst mal wieder 40 gute Minuten aufs Parkett legen – was schon lange nicht mehr der Fall war.
Es geht in München längst nicht nur um die Mannschaft, sondern auch um Trinchieri. Gut möglich, dass die herbe, wenngleich gegen Ende knappe Niederlage gegen Ulm sein letztes Heimspiel im Audi Dome war. Vor drei Jahren zog der 54-jährige Italiener nach München, mit Brose Bamberg war er zuvor dreimal hintereinander Meister geworden. Mit den Bayern würde nach zwei Finalniederlagen nun noch ein Ausscheiden im Halbfinale in der Vita stehen.